In Vorfreude auf die schwarze Robe
…oder warum Mooting kommunikativ statt (nur) kompetitiv ist
Zwei zentrale Fragen kommen innerhalb des Jurastudiums auf. Zum einen, warum studiere ich Jura und beiße ich mich bis zum zweiten Staatsexamen durch, um eine Robe umzulegen?
Die zweite Frage kommt einem nach der Erstiwoche, nachdem man innerhalb eines kurzen Zeitraums, noch nie zuvor so hochfrequentiert das Wort “kompetitiv” gehört hat, welches jeden “qualifizierten” Smalltalk deiner zukünftigen Kommilitonen einleitet. Ist es also unter so vielen “Kompetitiven” möglich, in einem Team zu arbeiten, ohne Seiten aus dem MüKo zu vermissen?
Beides erschloss sich uns. Das Gefühl, vor einem Richter zu stehen, eine schwarze Robe über den Schultern, neben deinem Teampartner/deiner Teampartnerin, bereit jeden Moment deinen Fall, deine Überzeugung, deine Argumente darzulegen, ist unbeschreiblich. In dem Moment wird dir klar, warum du dich durch die Klausurenphasen beißt und dich morgens in die dreistündige Zivilrechtsvorlesung setzt: Um später mehr davon zu haben.
“Kompetitiv” zusammenarbeiten, dass das nicht nur möglich ist, sondern auch unfassbar bereichernd, haben wir acht Teilnehmenden über die letzten vier Monate hinweg ins Exempel statuiert. Wir sind zusammen in uns noch zum Teil unbekannte Rechtsgebiete eingetaucht.
Ein erstes Treffen mit all den Mooties bei sonnigem Wetter und einem Kaltgetränk stimmte alle von uns freudig auf die kommende Schriftsatzzeit ein. Am ersten Juni erwartete uns eine 49 Seiten dicke Akte, gespickt mit E-Mail-Korrespondenzen und Drehbuchszenen. Schnell wurde uns die spannenden Fragen bewusst: Kann man einem coronaverhamlosenden Dienstverpflichteten, der nach dem Besuch einer Privatparty mit Covid infiziert war und eine ganze Produktion aufhielt, fristlos kündigen? Wie weit reicht das Unternehmenspersönlichkeitsrecht in Abwägung mit der Kunstfreiheit? Handelt es sich bei einem Dokumentarfilm überhaupt um ein durch die Kunstfreiheit geschütztes Werk?
Der Klageschriftsatz wurde in frühen Morgenstunden und in der späten Nacht verfasst, zwischen Stapeln von Lernzetteln und Karteikarten für die anstehenden Klausuren. Neben dem großzügig konsumierten Koffein brachten uns die konstruktiven Anregungen unserer Coaches und viel Teamarbeit durch die erste Schriftsatzphase. Nach einem zwölfstündigen Endspurt, ein paar verlorenen Nerven an der Formatierung, konnten wir pünktlich um 23:59 Uhr die Klageschrift erleichtert mit viel Freude und einem Glas Sekt abschicken.
An dieser Stelle wollen wir uns als gesamtes Team ganz herzlich bei Rechtsanwalt David Geßner bedanken. Sein Vortrag als Fachanwalt in Medien- und Urheberrecht führte uns durch die reale Praxis von Unterlassungsklagen. Gerade auch durch sein Zutun wurden wir mehrfach für unsere sehr bestimmten Klageanträge im Rahmen der Unterlassungsklage von den Richtern gelobt.
In die zweite Schriftsatzphase gingen wir mit wesentlich mehr Gelassenheit. Nachdem wir uns argumentativ an den uns zugesandten Klageschriftsätzen anderer Universitäten in Form einer Beklagtenschrift ausgelassen hatten, reichten wir diese ungewöhnlicherweise schon ein Tag vor Fristende ein. Natürlich aber nicht, ohne sie vorher auf die von unserem Rhetorikcoach, Herrn Grothe, hingewiesenen “Weichmacher” zu durchsuchen. Im Zuge des durch Herrn Grothe geleiteten Rhetoriktrainings wurde uns das schiere Ausmaß sog. “Weichmacher” in unserem alltäglichen Sprachgebrauch und deren unterschwellige, aber entscheidende Konsequenz deutlich. Welche Tonhöhe löst was aus? Welches ist die beste Geste, um den “Kern” einer Argumentation zu untermalen? Herr Grothe bereitete uns mit offener, ehrlicher Kritik in einem sicheren Umfeld auf die bevorstehenden großen Verhandlungen in Hannover vor.
Doch auf dem Weg dorthin bekamen wir schon bei dem Premoot, ausgerichtet von der Bucerius Law School in Hamburg, einen Vorgeschmack auf die Pleadings in Hannover (und eine Menge Franzbrötchen in jeglicher Geschmacksrichtung). Dort hatten wir die Möglichkeit, endlich unsere Konkurrenz zu sichten und interessante Anregungen zu erhalten.
Zurück an der Uni übten wir Mooties weiter fleißig das Verhandeln, wobei wir auch immer wieder von der Gegenseite, bzw. unseren Teammitgliedern mit neuen rechtlichen Konstellationen und Argumentationen überrascht wurden. Den Höhepunkt vor den Verhandlungen in Hannover bereitete jedoch die unentbehrliche Verhandlung zwischen unseren Teams und denen der FU, ausgerichtet in den Räumen der Kanzlei Hengeler Mueller. Anregende Gespräche untereinander und mit den Anwälten der Kanzlei rundeten den Abend ab.
Der Termin, auf den wir seit Anfang Juni hingearbeitet hatten, rückte immer näher und schließlich saßen wir früh morgens am 06.10.2022 im ICE nach Hannover und die Aufregung und Vorfreude stieg. Die Pleadings gestalteten sich als äußerst anregend und erfreulich. Jeder Richter und jedes gegnerische Team verhandelte anders und rückte dadurch, trotz des gleichen Falls, immer unterschiedliche Aspekte in den Fokus. Die Abende ließen Platz, um sich weiter mit den verschiedenen Universitäten und deren Mooties zu vernetzen und gemeinsam die erreichten Erfolge zu feiern. Neben Cocktailabenden hob auch das Bankett, ausgerichtet von der Bundesrechtsanwaltskammer, begleitet durch einen musikalischen Beitrag der BRAK-Brothers, die Gemeinschaft und Partnerschaftlichkeit der Anwaltschaft hervor.
Die größte Errungenschaft des Wochenendes ist die Erkenntnis, dass die Stärken des Einzelnen variieren. Jeder setzt einen anderen Schwerpunkt in seiner Tätigkeit als Jurist. Doch in der Praxis sind keine klaren Linien zwischen verschiedenen Themenkomplexen zu ziehen, gerade hier ist Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den verschiedenen Charakteren wichtig. An diesem Wochenende haben wir angefangen, die Komplexität eines solchen vernetzten Arbeitens zu erfassen. Ja, wir haben begonnen, uns selbst in solch ein Geflecht einzugliedern.
Wir schlossen als Teams der HU dieses Wochenende sehr erfolgreich ab, nicht nur mit Erfahrungen, sondern auch mit dem ersten und zweiten Platz für die besten Beklagtenschriftsätze. Das erste Mal sein juristisches Wissen anzuwenden und einen Einblick in die späteren Tätigkeiten eines Anwalts zu bekommen, hinterlässt einen in freudiger Erwartung auf das spätere Berufsleben. Es ist zu einer unvergesslichen Zeit geworden, ein absolut gelungenes 10. Jubiläum des Soldan Moot Courts. Zuletzt möchten wir uns noch einmal ausdrücklich bei unseren Sponsoren bedanken, die die Teilnahme am Moot Court ermöglicht haben: Hengeler Mueller, Leinemann Partner Rechtsanwälte & Notariat und dem juristischen Repetitorium Hemmer.
Lotte Escher